Leserbrief zu “Warum Macrons Taiwan-Sager so umstritten ist” von Fabian Kretschmer, 11.4.2023
Pekings Invasionspläne sind in den letzten Jahren im politischen Diskurs allgegenwärtig. Wenig verwunderlich war es also, dass Taiwan auch beim Besuch des französischen Präsidenten in der Volksrepublik China zum Thema wurde. Emmanuel Macron teilt die Meinung mancher in Europa, sich nicht von einer sogenannten US-Agenda leiten zu lassen. In Taiwan sehen wir allerdings unseren Wunsch in Freiheit zu leben, unsere hart verdiente Demokratie zu verteidigen, dem Willen unseres Volkes zu folgen, in keiner Weise als US-Agenda, sondern vielmehr als “Lebens-Agenda”, als “Menschenrechts-Agenda”, als “Friedens-Agenda”.
Werfen wir einen Blick zurück in die Vergangenheit: Wir befinden uns im Jahr 1940 und Nazi-Deutschland fällt in Frankreich ein. So wie die Deutschen sind auch Franzosen Europäer, haben aber ihre eigene Kultur und ihre eigene Identität. Sie wollen nicht Teil von Deutschland sein, dennoch greifen die Nazis Frankreich an und besetzen das Land rechtswidrig. Spulen wir ein bisschen weiter, so landen die USA und andere Alliierte in der Normandie, um Frankreich von den Invasoren zu befreien. Soll dieses historische Ereignis nun retrospektiv als US-Agenda verstanden werden? Oder haben hier demokratische Länder eine befreundete Demokratie vor den Fängen einer Diktatur gerettet?
Als Europäer ist es bestimmt gut nachvollziehbar, warum wir Taiwanesen unser Leben in unserer Demokratie so schätzen, ist Europa doch die Wiege der Demokratie. Keine Position bei den Allmachtsfantasien der Kommunistischen Partei Chinas zu ergreifen, bedeutet nicht, neutral zu bleiben. Es bedeutet vielmehr, durch passives Zuschauen Millionen von Menschenleben zu gefährden. Taiwan ist nicht nur für die USA ein wichtiger Partner, sondern ist durch unsere geteilten Werte bei den Menschenrechten und vielen anderen Themen auch für Europa ein treuer Freund und enger Verbündeter.
Wir appellieren an alle europäischen Politiker und an das europäische Volk, eine vermeintlich neutrale Position zu überdenken, denn der Angriff eines autoritären Regimes auf ein demokratisches Volk ist ein Angriff auf die Demokratie selbst. Bei einem China unter Xi ist Neutralität leider schlichtweg nicht möglich.
Katharine Chang Missionschefin Taipei Wirtschafts- und Kulturbüro in Österreich